Abstracts
Abstracts der 37. Jahrestagung des Internationalen Arbeitskreises für historische Stadtsprachenforschung
Grundformen der Verständigung sind kommunikative Praktiken. In den Prinzipien der Sprachgeschichte betont Hermann Paul, dass die Sprache erst da ist, „wo Sprechen und Verstehen auf Reproduktion beruht“ (Paul 1920/1995: 187). Unter Reproduktion versteht er die Entwicklung des konventionalisierten Sprachgebrauchs in einer Gesellschaft durch längere Ausübung der Sprechtätigkeit, das sind vor allem feste Fügungen, die in sich wiederholenden Handlungen (Routinen) meist unbewusst verwendet werden.
Im Beitrag wird eine kommunikativ-pragmatische Analyse von situationsgebundenen kommunikativen Praktiken – vorwiegend im niederdeutschrussischen Gesprächsbuch von Tönnies Fenne (1607) – als Muster der interkulturellen Alltags- und Geschäftskommunikation zwischen Angehörigen verschiedener Sprachwelten und Kulturen vorgenommen. Für den Vergleich werden auch andere Sprachbücher einbezogen.
Kommunikative Praktiken gelten als Kommunikationsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Empfang und der Übermittlung von Informationen sowie der Reproduktion von Kommunikation. Der Beitrag bietet eine vergleichende typologische Analyse kommunikativer Geschäfts- und Alltagssituationen, die sowohl in der Muttersprache als auch in der Fremdsprache beschrieben werden und ein spezifisches sprachliches Bild mit den Elementen der interkulturellen Kommunikation einer von uns entfernten Epoche widerspiegeln.
Der Beitrag fragt nach Funktion und Entwicklung dieser Art von Handbüchern vor dem Hintergrund ihrer sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Kontexte, die von einem Wandel der Handels- und Stadtkultur geprägt war. Dieser Wandel zog tiefgreifende Veränderungen in den Wissensformen nach sich, für die die zweisprachigen Nomenklaturen nicht nur eines der bedeutendsten Zeugnisse, sondern auch eine der wichtigsten Triebkräfte sind. Mündliche kommunikative Praktiken, die in diesen Büchern niedergeschrieben worden sind, beschränken sich natürlich nicht nur auf die Beherrschung bestimmter vorgeformter sprachlicher Muster und deren angemessene Verwendung. Vielmehr umfassen sie ein ganzes Set an Wissen, das sich auf mehrere Ebenen verteilt und (gesteuert während der institutionellen Ausbildung bzw. ungesteuert, privat) erlernt werden muss, wobei jeder Ebene die gleiche wichtige Bedeutung bei der Realisierung der kommunikativen Praxis zukommt.
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Vergleich von unterschiedlichen Routineformeln (Anrufe, Gruß- und Begrüßungsformeln, Glückwünsche und Danksagungen, Anweisungen, Eidesformeln etc.), die pragmatisch ausgerichtet sind und Zeugnisse frühneuzeitlicher Alltags- und Handelskommunikation sowie Bildung und Gelehrsamkeit sind.
Trotz der unsystematischen Aneinanderreihung lassen sich in den untersuchten Gesprächsbüchern verschiedene Situationen nachvollziehen, in denen sich Routineformeln als Satzmuster der mündlichen Alltags- und Handelskommunikation der beiden Sprachen widerspiegeln.
Literatur
Paul, Hermann (1920/1995): Prinzipien der Sprachgeschichte. Tübingen: Niemeyer.
Mit meinen Aussagen knüpfe ich an einen Aspekt der Forschungen von Ulrike Demske- Neumann und Britt-Marie Schuster zum Zeitungsdiskurs im 17. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts an. Aufgenommen wird die Diskussion zur Ganzsatzstruktur der korrespondenzgebundenen Nachrichten. In meiner 2020 publizierten holistischen Langzeitstudie zu den Mitauischen Nachrichten und ihren Nachfolgern, auf deren Ergebnisse ich hier zurückgreife, ist der Ganzsatz lediglich ein nachgeordnetes Thema. Mit Bindung an ermittelte Berichtstypen werden Ganzsatztypen, Satzgefügestrukturen sowie Anzahl, Abhängigkeitsgrad und Funktion der Nebensätze systematisch verfolgt und frequenziell erfasst.
Auf die Parameter Ganzsatztyp, Satzgefügestruktur, Anzahl- und Abhängigkeitsgrad des Nebensatzes wird in meinem Vortrag lediglich einleitend Bezug genommen. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht die Leistung der aktivierten Funktionsfelder für die Sachverhaltsdarstellungen. Hervorgehoben wird die Dominanz der gegenstandsbeschreibenden Nebensätze (Attribut-, Objekt- Subjekt-, Prädikativsätze) und der zurückhaltende Einsatz von Hintergrundinformationen über Adverbialsätze und weiterführende Nebensätze. Von Texttyp zu Texttyp verfolgt wird die Verwendung von Kausal-, Konsekutiv-, Final-, Konditional- und Konzessivsätzen.
Meine Aussagen beruhen auf der Analyse von 2.760 korrespondenzgebundenen Nachrichten der Textsorten Ereignisbericht und Situationsbericht. Alle Texte sind Übernahmen aus eingehenden Zeitungen. Zusammengetragen habe ich sie über 17 Schnittproben aus etwa 2000 Tagesausgaben des auslandsdeutschen Regionalblattes, die ich in fünf Studien bearbeitet habe.
Initiiert wurde die Zeitung von Christian Liedtke, Hofbuchdrucker des Herzogs von Kurland und Semgallen, eines Territoriums, das damals zu Polen, dann zu Russland gehörte und heute Teil Lettlands ist. Redakteure waren seit 1777 Lehrer der großen Stadtschule und des akademischen Gymnasiums der Residenzstadt Mitau. 1797 hatte das Herzogtum 416.960 Einwohner, darunter 34.980 Deutsche. Deutsch war Amtssprache und Sprache des öffentlichen Verkehrs. Das Nachrichtenblatt wurde in überregionalem Schriftdeutsch geführt.
Im Fokus des Vortrags sollen Sprachlehrwerke für den städtischen Sprachunterricht stehen wie etwa die vom an der Hamburger St. Jacobs-Schule tätigen Rechenmeister Heino Lambeck (1586 – 1661/1662) im Jahr 1633 in niederdeutscher Sprache verfasste Lese- und Rechtschreiblehre Düedsche Orthographia oder die mehrsprachigen Sprachbücher des Hamburger Sprachmeisters Pierre/Peter Rayot. Sowohl einsprachige Orthographielehren als auch die Aussprachelehren mehrsprachiger Werke gewähren Einblicke in die Vorstellungen über das Sprechen im Allgemeinen und über das Verhältnis zwischen geschriebener und gesprochener Sprache im Speziellen.
Grundsätzlich wurde von einer gemeinsamen kleinsten Einheit des Geschriebenen und des Gesprochenen zugleich ausgegangen, was die Frage nach einem zumindest impliziten Bewusstsein über Graphem-Phonem-Korrespondenzen aufwirft, denn die Buchstaben werden nicht bloß als isolierte Einheiten, sondern auch hinsichtlich ihrer Distribution und mithin in konkreten Realisierungsmöglichkeiten beschrieben. Dies lässt Rückschlüsse auf eine mögliche Vorstellung von Graphem- Phonem- Korrespondenzen, die den Orthographielehren zugrunde liegt, wie auch auf das Sprachbewusstsein in der Aussprachelehre mehrsprachiger Lehrwerke zu, da mit ihr regelmäßig Kontraste zwischen dem Deutschen und der Zielsprache adressiert werden, die eine Bewusstmachung der Charakteristika der gesprochenen deutschen Sprache erfordern.
Die ausgesuchten Werke illustrieren auf eine anschauliche Weise, wie eng in der Frühen Neuzeit die Bemühungen um die Normen des Deutschen bzw. auch metasprachliche Reflexionen ohne theoretisch-normierenden Anspruch mit allgemeinen Prozessen der Wissensvermittlung (z. B. im naturwissenschaftlichen und mathematischen Bereich), der sprachlichen Heterogenität (etwa Niederdeutsch, Hochdeutsch, Latein, andere Vernakularsprachen) und der (wissensdokumentierenden und wissensvermittelnden) Textsortenvielfalt/Intertextualität verzahnt sind. Diesen für die HSSF-Tagung ausgewählten Schwerpunkten trägt der Vortrag Rechnung und versucht, a) die ausgewählten Werke im Kontext der urban literacy (Moulin 2016) und der parallel verlaufenden barocken Spracharbeit zu verorten, b) vor diesem Hintergrund das Musterhafte und das „Eigenwillige“ der Lehrwerke zu erarbeiten und c) die Besonderheiten der Vorstellungen über das Sprechen, die Aussprache und die Laute zu analysieren.
Literatur
Bergmann, Rolf; Götz, Ursula (Hrsg.) (2007): Düedsche Orthographia – Hager, Teütsche Orthographia. Enthält: Lambeck, Heino: Düedsche Orthographia. Hamburg 1633. Hager, Christoph Achatius. Teütsche Orthographia. Hamburg 1639. Hildesheim: Olms.
Filatkina, Natalia (2009): Und es duencket einem noch / wann man euch ansiehet / daß ihr Sand in den Augen habt. Phraseologismen in ausgewählten historischen Grammatiken des Deutschen. In: Földes, Csaba (Hrsg.): Phraseologie disziplinär und interdisziplinär. Tübingen: Narr, S. 15 – 31.
Filatkina, Natalia (2021): Übersetzungskulturen und Wissensvermittlung im Spiegel frühneuzeitlicher Fremdsprachenlehrwerke. In: Hübner, Julia; Simon, Horst (Hrsg.): Fremdsprachenlehrwerke in der Frühen Neuzeit. Perspektiven – Potentiale – Herausforderungen. Wiesbaden, S. 9 – 31.
Moulin, Claudine (1994/1997): Bibliographie der deutschen Grammatiken und Orthographielehren. 1. Von den Anfängen der Überlieferung bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, 2. Das 17. Jahrhundert. Heidelberg: Winter, S. 186 – 190.
Moulin, Claudine (2000): Deutsche Grammatikschreibung vom 16. bis 18. Jahrhundert. In: Besch, Werner et al. (Hrsg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2. Auflage. Berlin/ New York: de Gruyter, S. 1903 – 1911.
Moulin, Claudine (2016): Sprache(n) in der Stadt – Städtisches Schreiben: Facetten eines pragmatischen und metasprachlichen Zugriffs auf urbane Schriftlichkeit. In: Selig, Maria; Ehrich, Susanne (Hrsg.): Mittelalterliche Stadtsprachen. Regensburg: Schnell & Steiner, S. 105 – 119.
In Friedrichstadt, das 1621 überwiegend von niederländischen Glaubensflüchtlingen gegründet wurde, stand Niederländisch von Beginn an in hohem Ansehen (vgl. Menke 1982: 45, 63). Bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein wurden die Stadtprotokolle in dieser Sprache geführt, die Predigten bei den Mennoniten und Remonstranten wechselten gar noch später zum Deutschen (vgl. ebd. 64). Neben einem Zuzug aus der niederdeutschen Umgebung siedelten sich aber auch früh Protestanten aus Süd- und Mitteldeutschland an (vgl. ebd. 63; Michelson 1987: 112; Schmidt et al. 1957: 11). Die sprachliche Situation vor Ort scheint also von Beginn an verhältnismäßig komplex gewesen zu sein. Dennoch ist sie in der Forschung bisher nur grob umrissen worden (am stärksten noch bei Menke 1982 und Michelson 1987). Wie stellte sich also die sprachliche Situation in Friedrichstadt dar? Was war(en) die Stadtsprache(n) dieses Städtchens an der Eider?
In meinem Beitrag zu der Tagung werde ich mich den ersten Generationen in Friedrichstadt zuwenden. Mit qualitativer Sprachanalyse von überwiegend privaten Briefen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, von Männern und Frauen aus Friedrichstadt, wird sich dem Sprachgebrauch und den Sprachvarietäten angenähert. Erkenntnisse über die historische Situation sowie metasprachliche Kommentare ergänzen die Untersuchung. Zugleich werden aber auch die Probleme bei der linguistischen Abgrenzung der Sprachen Niederländisch, Niederdeutsch und Hochdeutsch deutlich. Insbesondere drei Fragen werden von Interesse sein:
- Welcher Sprachgebrauch lässt sich für Friedrichstadt in der Mitte des 17. Jahrhunderts feststellen?
- Welche Erklärung bieten soziale Faktoren wie Stand, Geschlecht und Herkunft für Schreibvariation?
- Inwieweit ist ein Einfluss der mehrsprachigen Situation in Friedrichstadt erkennbar?
Literatur
Menke, Hubertus (1982): „Nedderlender mit allerhand verdechtiger Religion beflecket“. Zur Sprache und Geschichte der Westerschen in den Herzogtümern Schleswig und Holstein (Gouden Eeuw). Universität Kiel (Habilitationsschrift).
Michelson, Karl (1987): Holländisch oder deutsch? Über den Umgang mit der holländischen Sprache. In: Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte 33, S. 109 – 117.
Schmidt, Harry et al. (1957): Friedrichstadt. Vergangenheit und Gegenwart. 3., erweiterte Auflage. Lübeck: Matthiesen.
Seit längerer Zeit beschäftigen sich Historiolinguisten mit der Frage, ob sich in überlieferten Texten aus vergangenen Sprachstufen Spuren gesprochener Sprache finden lassen. Eine wichtige Stellung nehmen dabei kanzleisprachliche Texte ein, v. a. Protokolle, in denen Äußerungen der an Rechtshandlungen beteiligten Menschen verzeichnet wurden (vgl. Niehaus 2005). Neben den in den herausgegebenen Studien ausgewerteten Materialien, die aus dem zentralen deutschen Sprachraum stammen (vgl. z. B. Hille 2009, Topalović 2003 und Wilke 2006), gibt es jedoch auch deutschsprachige Einträge, die außerhalb dieses Sprachraums entstanden sind und bis jetzt nicht detailliert ausgewertet wurden. Das betrifft z. B. die Stadtbücher aus der Olmützer Stadtkanzlei, deren Einträge, d. h. Zeugenaussagen und Geständnisse, bis jetzt in einer kurzen Studie behandelt wurden (vgl. Spáčilová 2018).
Im Beitrag, der sich mit einem Teil des in der entstehenden Dissertation analysierten Korpus befasst, werden die in den Olmützer Prozessakten vorkommenden Arten der Redewiedergabe einer Analyse unterzogen, auf deren Grundlage sich einige Aussagen über damalige Schreiberstrategien für die Überführung des Gesprochenen in den geschriebenen Text treffen lassen. Es werden auch damit zusammenhängende Aspekte der Redewiedergabe beachtet, z. B. der Modus von Prädikaten, ihre Stellung im Satz und das Vorkommen oder Fehlen einer Redeanzeige.
Im zweiten Teil des Beitrags wird auf die Frage nach der Authentizität der analysierten Einträge eingegangen. Zu diesem Zweck werden Texte, die in Er-Form verfasst wurden und die „Norm“ darstellen, mit denjenigen in Ich-Form bzw. mit längeren solchen Passagen innerhalb anderer Texte auf syntaktischer Ebene verglichen. Es wird untersucht, ob die Texte in Ich-Form nähesprachlicher sind als andere. Die Glaubwürdigkeit der in der direkten Rede präsentierten Äußerungen wird mithilfe der kontrastiven Betrachtung von mehreren sich auf ein Ereignis beziehenden Aussagen hinterfragt.
Literatur
Hille, Iris (2009): Der Teufelspakt in frühneuzeitlichen Verhörprotokollen. Standardisierung und Regionalisierung im Frühneuhochdeutschen. Berlin/New York: de Gruyter.
Niehaus, Michael (Hrsg.) (2005): Das Protokoll – Kulturelle Funktionen einer Textsorte. Frankfurt am Main: Lang.
Spáčilová, Libuše (2018): Frühneuhochdeutsche Register mündlicher Kommunikation in Olmützer Prozessakten von 1550 bis 1630. In: Studia Germanistica 23, S. 15 – 30.
Topalović, Elvira (2003): Sprachwahl – Textsorte – Dialogstruktur. Zu Verhörprotokollen des 17. Jahrhunderts. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.
Wilke, Anja (2006): Redewiedergabe in frühneuzeitlichen Hexenprozessakten. Ein Beitrag zur Geschichte der Modusverwendung im Deutschen. Berlin/New York: de Gruyter.
Im Rahmen von Untersuchungen zum Partikelgebrauch in Briefen aus der Stadt Nürnberg im 16. Jahrhundert verdienen Supplikationen als institutionalisierte Textform besondere Aufmerksamkeit. Trotz der relativ guten Überlieferungslage für die Amtssprache der Stadt Nürnberg bleiben bisher viele Fragen offen: Welche Vorgaben machte der Nürnberger Rat in Bezug auf die formalen Anforderungen einer Supplikation? Wer hat Supplikationen selbstständig schreiben können und wer konnte welche professionelle Hilfe in Anspruch nehmen? Welche sprachlichen Barrieren mussten dabei überwunden werden? Die Ratsverlässe der Stadt Nürnberg, einige wenige erhaltene Konzept- und Briefbücher und die Korrespondenz Nürnberger Bürgerinnen und Bürger enthalten einige Aussagen zum Supplikationswesen. Durch Zusammenstellung dieser Mosaiksteine soll ein historischer Rahmen für Produktion und Wirkung von Supplikationen sichtbar gemacht werden. Hinweise auf formale Anforderungen und mögliche sprachliche Barrieren im Bereich der Syntax sind aus einigen konkreten Textbeispielen ableitbar. Die sich daraus ergebenden Fragestellungen eröffnen einen breiten Raum für Diskussionen und können so hoffentlich zum Austausch von Erkenntnissen aus sprach- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu anderen Städten beitragen.
Publikationen/Literatur
Kourukmas, Petra (2014): Amtssprache und Privatsprache in Nürnberg im 16. Jahrhundert: Die Partikel doch. In: Karin, Anna; Ulivi, Silvia; Wich-Reif, Claudia (Hrsg.): Regiolekt, Funktiolekt, Idiolekt: Die Stadt und ihre Sprachen. Akten der 31. Tagung des Internationalen Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung. Bonn, 29. September – 02. Oktober 2013. Bonn: V & R unipress, S. 193 – 211.
Kourukmas, Petra (2016a): Amtssprache und Privatsprache in Nürnberg im 16. Jahrhundert. Das sprachliche Wirken des Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler (1479-1534) in seinen Briefen. In: Hünecke, Rainer; Aehnelt, Sandra (Hrsg.): Kanzlei und Sprachkultur. Beiträge der 8. Tagung des Arbeitskreises Historische Kanzleisprachenforschung, Dresden 3. bis 5. September 2015. Wien: Praesens, S. 119 – 140.
Kourukmas, Petra (2016b): Privatbriefe Nürnberger Bürger im 16. Jahrhundert. Willibald Pirckheimer, Albrecht Dürer und Lazarus Spengler. In: Becker, Thomas et al. (Hrsg.): Sprachwissenschaft 41.1. Heidelberg: Winter, S. 357 – 376.
Kourukmas, Petra (2020): Stadtsprachen verstehen. Funktionsabgrenzungen und Funktionsannäherung der Partikeln je und ja in Nürnberger Briefen aus dem 16. Jahrhundert mit einem Ausblick auf den Gebrauch dieser Partikeln in Martin Luthers Briefen. Ein Beitrag zur Geschichte der Modalpartikeln. In: Hünecke, Rainer; Meier, Jörg (Hrsg.): Perspektiven und Desiderate der europäischen Kanzleisprachenforschung. Die deutsche Sprache in der Zeit der Reformation (Beiträge zur Kanzleisprachenforschung 8). Wien: Praesens, S. 231 – 260.
Die 1539 in Köln gedruckte Gemeyne Bicht des Daniel von Soest stellt einen außergewöhnlichen gegenreformatorischen Text dar, der als unterhaltendes Schauspiel konzipiert ist und in seiner Forschungsgeschichte bis heute einige ungeklärte Fragen aufwirft. Ein interdisziplinäres Themengebiet wird durch drei Lieder eröffnet, die im Kontext einer für die Dramaturgie des Stückes zentralen Hochzeitsfeier stehen – in der Forschung wurden diese Lieder bislang wenig beachtet. Im Rahmen meiner im WS 2019/20 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eingereichten Masterarbeit habe ich den Liedern eine umfassende Untersuchung gewidmet; dabei habe ich die vorhandenen Überlegungen und Positionen in einem Forschungsbericht verbunden und neue Ansätze entwickelt, die auch Rückschlüsse auf das Gesamtwerk zulassen.
Die dramatisch gestaltete Handlung der Gemeynen Bicht ist sehr eng mit der Soester Stadtgeschichte verbunden; über die historischen Parallelen hinaus eröffnet die Beschäftigung mit den Liedern aber auch eine neue Perspektive auf den Autor des Werkes, der sich hinter dem Pseudonym des biblischen Daniels verbirgt: den Soester Minoriten Patroclus Boeckmann. Eine Untersuchung der intertextuellen Bezüge der Lieder sowie die Ermittlung der Ursprünge der Liedmelodien geben Aufschluss darüber, zwischen welchen sozialen Schichten und vor welchem Bildungshintergrund sich der Verfasser bewegt hat.
Eine erste Sprachuntersuchung des Gesamttextes und der Lieder charakterisiert die Schreibsprache des Autors als südwestfälisches (Spät-)Mittelniederdeutsch. Bemerkenswert ist jedoch vor allem, dass die Gemeyne Bicht kaum Anzeichen des Schreibsprachenwechsels zeigt, der in Soest etwa zwischen 1531 und 1570 verlaufen ist. Es wird deutlich, dass sich der Verfasser um eine möglichst wirklichkeitsgetreue Wiedergabe der gesprochenen Sprache bzw. des lokalen Dialektes bemüht und dabei auch konkret versucht, Mündlichkeit zu inszenieren.
Literatur
Fischer, Christian (2018): Zu Person, Werk und Sprache eines katholischen Kontroverstheologen. In: Niederdeutsches Wort 58, S. 55 – 71.
Freitag, Werner (2017): Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz. 2., durchgesehene Auflage. Münster: Aschendorff.
Scheitler, Irmgard (2013): Schauspielmusik. Funktion und Ästhetik im deutschsprachigen Drama der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Materialteil. Tutzing: Schneider.
Teodoruk, Alois Walter (1984): Daniel von Soest. Ein gemeyne Bicht. Anmerkungen zum Forschungsstand. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Heimatpflege Soest 96, S. 14 – 38.
Wolf, Johannes (1925): Lieder aus der Reformationszeit. In: Schneider, Max; Seiffert, Max; Wolf, Johannes (Hrsg.): Archiv für Musikwissenschaft, 7. Jahrgang. Leipzig, Heft 1, S. 53 – 64; Heft 3, S. 412.
Die Stadt Wien verfügt über wenige Quellen zur frühneuzeitlichen Strafjustiz - Das Wissen über Hinrichtungen, die im 18.Jahrhundert nachweislich und regelmäßig in der Residenzstadt stattgefunden haben, verdanken wir u. a. folgenden drei Quellen:
- einer Sammlung von 180 Flugblättern, die anlässlich von Hinrichtungen verfasst, gedruckt und verbreitet wurden,
- der periodischen Berichterstattung über Hinrichtungen in den Zeitungsausgaben des zweimal wöchentlich erscheinenden Wienerischen Diariums und
- den handschriftlichen Aufzeichnungen einer Totenbruderschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, „arme Sünder*innen“ nach deren Hinrichtung zu bestatten.
Der eingereichte Beitrag möchte nun diese drei themenrelevanten Quellentypen im Detail vorstellen und einem intermedialen Vergleich unterziehen. Hierfür sollen zunächst jene Hinrichtungen identifiziert werden, die in allen der drei genannten Quellen Erwähnung finden.
In einem weiteren Schritt gilt es u. a. mit digitalen Methoden und Werkzeugen festzustellen, wie groß die textuellen Überschneidungen sind: Welche Informationen finden sich in der Zeitung, nicht aber im Flugblatt? Und welche Angaben macht die Totenbruderschaft, die sich jedoch kaum zur massenmedialen Verbreitung eignen? Welche Informationen unterschlägt das eine Medium, die im anderen berichtet werden?
Weiter soll erörtert werden, ob die in den Flugblättern sehr deutliche Deklarations- und Appellfunktion auch in den Zeitungsberichten nachweisbar ist oder ob dort eher eine Informationsfunktion überwiegt. In einem (zum Teil automatisierten) Abgleich der Quellen soll gezeigt werden, wo Formulierungen wortident übernommen werden, aber auch, worin Abweichungen (etwa in der Darstellung der Malefikant*innen oder in der Verwendung von rechtssprachlichem Fachwortschatz) bestehen und worin diese aus Sicht der Verfasserin begründet liegen könnten.
Aufgrund der wiederkehrenden medienspezifischen Formulierungsmuster kann man möglicherweise darauf schließen, wie Textproduktions- und Redaktionsprozesse zu den jeweiligen Hinrichtungsereignissen zeitlich einzuordnen sind beziehungsweise wo Abhängigkeiten und intermediale Bezüge deutlich werden. Sowohl die beiden Nachrichtenmedien als auch die Aufzeichnungen der Totenbruderschaft bieten ein freilich überformtes Bild der zeitgenössischen Wahrnehmung von Strafjustiz im 18. Jahrhundert, das bislang jedoch noch nicht im Detail untersucht worden ist.
Die mittelniederdeutsche Sprach- und Textlandschaft der norddeutschen Klöster, insbes. der Lüneburger Frauenklöster, stellt nicht nur einen attraktiven Gegenpol zu den inzwischen recht umfassend aufgearbeiteten Beständen der Städte dar, sondern eine geradezu notwendige Ergänzung, wenn es darum geht, den norddeutschen Sprachraum am Übergang zur Frühen Neuzeit in allen seinen Facetten überblicken und beschreiben zu wollen. Allerdings hat sich die Forschung noch nicht um eine gesamthafte Erfassung und Aufbereitung der vernakulärsprachlichen Textbestände der Frauenklöster bemüht, obwohl gerade die Klöster eine innere Geschlossenheit und damit verbunden eine hohe Selbständigkeit bei einer starken lokalen Verankerung zeigen (lediglich Einzelquellen oder Quellengruppen sind inzwischen gut erschlossen, wie z. B. die Ebstorfer Urkunden oder die Lüner Briefbücher).
Das niederdeutsch abgefasste Verwaltungsschrifttum (Urkunden, Briefe, Register, Rechnungsbücher) der Klöster bietet geschlossene Textsammlungen, die für Untersuchungen der Schreibsprache des jeweiligen Ortspunktes bzw. der Region äußerst vielversprechend erscheinen, zumal die mittelniederdeutsche Varietät zwischen Hannover, Lüneburg und Uelzen im 15. und 16. Jahrhundert bislang noch nicht eingehender untersucht worden ist. Der Atlas spätmittelalterlicher Schreibsprachen des niederdeutschen Altlandes und angrenzender Gebiete (ASnA) umfasst Quellen bis 1500, die zumeist aus dem städtischen Raum stammen. Aufgrund der noch mangelnden Erfassung und Aufbereitung von Quellenmaterial aus dem oben skizzierten geographischen Bereich zeigt sich im AsnA ein weißer Fleck. Eine Sichtung und Bewertung der Quellen aus den Klöstern sowie ihre systematische Aufbereitung und Auswertung könnten hier wertvolle Hinweise auf die verwendete niederdeutsche Varietät geben. Da vielfach Texte bis in das 16. Jahrhundert vorliegen, kann hier zudem die Lücke bis zur Ausweitung des Hochdeutschen in den niederdeutschen Sprachraum geschlossen werden.
In unserem Vortrag möchten wir ausgehend von den Urkunden im Kloster Wienhausen Überlegungen zum Stellenwert des vernakulärsprachlichen Verwaltungsschrifttums anstellen. Gerade vor dem Hintergrund der hohen schriftlichen Vernetzung der Frauenklöster mit den Städten und Nachbarklöstern stellt sich die Frage nach der Wechselwirkung von klösterlichem und städtischem Verwaltungsschrifttum. Überdies wird zu diskutieren sein, inwiefern sich die Nonnen der überregionalen Verwaltungssprache bedienten und diese vielleicht sogar prägten.
Die deutsche Besiedlung Krakaus im Mittelalter wurde anfangs planmäßig durch die polnischen Landesherren initiiert (vgl. bspw. das Gründungsprivileg Boleslaus des Schamhaften von 1257). Das Ziel war, mehrere mit einem gewissen Kapital ausgestattete Handwerker und Händler aus dem wirtschaftlich besser entwickelten Westen für die polnische Stadt zu gewinnen, um ihren wirtschaftlichen und zivilisatorischen Zustand aufzubessern. Aufgrund der relativ großen Bevölkerungsdichte in ihrem Heimatland und anlockenden rechtlich-wirtschaftlichen Privilegien kamen dann auch im 14. und 15. Jh. viele Deutsche nach Krakau, die sich dann lebhaft im Leben der Stadt engagiert haben und in den Stadtbehörden exponierte Stellen bekleideten. Eben diese Schicht der Stadtpatrizier hinterließ ein beachtliches Quellenmaterial, das wegen des Sprachinselstatus Krakaus von einem besonderen wissenschaftlichen Interesse ist. Das Deutsche, das inzwischen sogar neben Latein zu einer der Amtssprachen in Krakau geworden ist, verliert zwar in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. diesen Status, wird aber weiterhin in der Stadt verwendet. Von diesem Tatsachenbestand zeugen private Testamentsurkunden, deren Abschriften in den Stadtbüchern zum Gegenstand meines Referats unter linguistischen Blickwinkeln werden. Da es sich in ihrer Mehrheit um letztwillige Texte der ansässigen Krakauer handelt, kann über die Kondition des Deutschen unter den deutschsprachigen Bürgern in der Endphase seines Gebrauchs in der Stadt referiert werden.