Intern
    Lehrstuhl für neuere deutsche Literatur- und Ideengeschichte

    DFG-Projekt William Lovell Digital

    DFG-gefördertes Projekt 2024–2027

    Die meisten Forschungen zu Ludwig Tiecks Roman William Lovell berücksichtigen nicht oder nur sehr unzureichend die Tatsache, dass der Roman in drei autorisierten Ausgaben – 1795/96, 1813/14 und 1828 – vorliegt und das zwischen diesen drei Ausgaben weitreichende Änderungen zu verzeichnen sind. Es gibt also keine Edition, die eine Synopse der drei Fassungen, zumal in einer fehlerbereinigten Form, bietet und daher Textbewegungen von der ersten bis zur dritten Ausgabe sichtbar macht.

    Dem beschriebenen Desiderat wird mit diesem Forschungsprojekt Abhilfe geschaffen: Geplant ist eine digitale Edition, welche die drei Fassungen gleichermaßen zur Darstellung bringt, durch Synopse vergleichbar und dabei die implizite „Korrekturszene“, also die Überarbeitungen von der Editio princeps zur zweiten und dritten Ausgabe, sichtbar macht. Versehen mit einer umfangreichen elektronischen Registratur, einem Zeilenkommentar und einer Suchfunktion, soll die beantragte Edition die Grundlage für qualitativ, aber auch quantitativ arbeitende Forschungen darstellen.

    Das hier beantragte Editionsprojekt ermöglicht es also, die Umbrüche in Tiecks eigenem Werk rekonstruierbar zu machen, die zugleich Reflexionen auf die epochalen Veränderungen darstellen, in deren Rahmen es sich bewegt: Der Lovell entsteht als ein frühromantischer Text, der sich in kritischer Auseinandersetzung zur Spätaufklärung befindet; er wird das erste Mal überarbeitet, wenn Tieck sich in Richtung einer stärker realistischen Darstellungsweise orientiert. Und er wird ein weiteres Mal verändert, wenn er in seine Spätphase eintritt, in der er – als Erweiterung seiner (früh-)realistischen Ambitionen – die frühromantischen Topoi einer ironischen Prüfung unterzieht; nicht zuletzt in der Relektüre der eigenen Texte aus dieser Zeit.

    Technische Umsetzung und Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Philologie und Digitalität „Kallimachos“ 

    Die Texterfassung erfolgt mit dem am Zentrum für Philologie und Digitalität „Kallimachos“ZPD entwickelten und weit verbreiteten Open-Source-Tool OCR4all, das verschiedene Lösungen für einzelne Schritte des OCR-Workflows kombiniert, in einer einzigen Anwendung kapselt und vollständig über eine komfortable Weboberfläche bedienbar macht. Weiterhin verfügt OCR4all über ein umfangreiches Korrekturtool, mit dem nahezu alle (Teil-)Ergebnisse eines typischen OCR-Workflows (Regionenkoordinaten und -typen, Zeilenkoordinaten, Text) bei Bedarf komfortabel und präzise korrigiert werden können.

    Teilprojekt: Digitale Editionspraxis im Kontext der ‚critique génétique‘ (Anna Traurig)

    Im Rahmen des Projekts entsteht auch die Dokotrarbeit von Anna Traurig. Diese verfolgt zwei Ziele: Zum einen ediert Anna Traurig die digitale synoptische Edition von Ludwig Tiecks Briefroman William Lovell;  Zum anderen entsteht ein Buch, das eine Verortung der digitalen Edition in der Geschichte der neugermanistischen Editionstheorie und -praxis vornimmt und strebt somit nicht zuletzt auch eine Theoretisierung der digitalen Editionspraxis an. Dieses Unterfangen steht im kontinuierlichen wechselseitigen Abgleich mit der Lovll-Edition und wird von der Frage geleitet, ob die aktuelle digitale Editionspraxis mit ihren aufgrund von technischen und medialen Entwicklungen veränderten Rahmenbedingungen als Fortsetzung oder Radikalisierung der ‚critique génétique‘ begriffen werden kann oder ob in der digitalen Edition auch Entwicklungslinien der traditionellen editionswissenschaftlichen Theorie und Praxis sichtbar werden.