Seibert
Prof. Dr. Thomas Seibert
Thomas-Michael Seibert, Jurist und Semiotiker des Rechts, Richter von 1982-2011, Honorarprofessor an der Universität Frankfurt seit 1999 (Rechtstheorie).
Buchveröffentlichungen: mit K. Lüderssen (Hrg.), Autor und Täter (1978), Aktenanalysen (1981); mit O. Ballweg (Hrg.), Rhetorische Rechtstheorie (1982); Zeichen, Prozesse (1996), Gerichtsrede (2004), Artikel "Rechtssemiotik" im Handbuch für Semiotik (2003).
Internetsite: www.rechtssemiotik.de
"Die theatrale Seite des Gerichts" [Abstract]
Das Gericht besteht in der Sache aus Akten und Verhandlungen. Verhandlungen für sich genommen entscheiden nichts, sind aber unverzichtbar. Juristisch pflegt man vorsichtig zu sagen, sie bereiteten eine Entscheidung vor und förderten den Verfahrenszweck. Dem Zweck - wenn es denn der Verfahrensabschluss ist - kann man widersprechen und weitere Verhandlung fordern. Ginge es nur um Entscheidungen, wäre - wenn nicht das gesamte Verfahren - so doch mindestens die mündliche Verhandlung überflüssig. Verhandlung und Entscheidung sind nicht identisch, und die Vermittlung beider ist theoretisch wie praktisch prekär. Die Entscheidung prägt die agonale Seite des Gerichts, in der es um Sieg und Niederlage, Parteien und Streitgenossen, Beweis und Waffen(-Gleichheit) geht. Die Verhandlung hat ihren Ursprung im Theater (C. Vismann) und seinen Rahmungsbedingungen. Der Wettkampf, der ursprünglich in einem Stadion stattfand, hat sich zur sprachlich darstellerischen Verhandlung gewandelt, über deren rednerischen Erfolg aber die Zuschauer nicht mehr entscheiden. Das »Ding« - germanisch buchstäblich der »Thing«-Gerichtsplatz - wird zum Forum des Rechts. Heute entscheiden die Zuschauer nichts mehr, und der theatralische Eigenwert der Verhandlung scheint zu vernachlässigen zu sein. Im Vordergrund steht nur noch das Agon der Entscheidung. Dieser Schein ist aufzuklären.