Intern
Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft

Tagung "Wissenschaftssprache, Fachlexikographie, Fachdokumentation" Wittenberg 2024

Call for Papers [als pdf]

Wissenschaftssprache, Fachlexikographie, Fachdokumentation.
Geschichte und Tendenzen

1. und 2. März 2024
LEUCOREA (Wittenberg)
Arbeitskreis Historische Gelehrten- und Wissenschaftssprachen (HiGeWiS)

Das aktuelle Tagungsprogramm (Stand 16.2.24) findet man hier; näheres zu den Vorträgen bieten die Abstracts. Die Veranstaltung fand statt mit der freundlichen Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung. Einen kleinen Tagungsbericht findet man bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.

Der wissenschaftliche Wortschatz einer bestimmten Disziplin wird von der jeweiligen Fach­gemeinde im täglichen Gebrauch nicht nur einfach genutzt, sondern oft auch aufmerksam ge­sammelt, dokumentiert sowie systematisch geordnet und reflektiert. Davon zeugen in erster Linie die zahlreichen Fachwörterbücher, in denen sich das sprachliche Profil einer wissenschaftlichen Disziplin zu verschiedenen Zeitpunkten gut greifbar manifestiert. Die frühen Aufarbeitungen der Fach- und Wissenschaftssprachen besaßen vor diesem Horizont immer schon eine starke fach­lexikographische Komponente (Klein 2004). Geht man von den aktuellen Fachlexika aus, so stecken dahinter oft jahrhundertealte Sammel- und Nachschlagetraditionen [zur Anregung]. Sie strahlen in ver­schiedene Texte aus und bezeugen so einerseits die Langlebigkeit fachlexikalischer Überliefe­rungen, andererseits die anhaltenden Bemühungen, die jeweiligen fachspezifischen Wortschätze als Eingangstore zu einer wissenschaftlichen Disziplin zu begreifen und auszubauen. Auch viele digitale Projekte der Gegenwart besitzen in diesem Licht tiefe Wurzeln in der europäischen Sprach- und Wissenschaftsgeschichte.

Die fachlexikographischen Anstrengungen lassen sich freilich nicht allein auf klassische, alpha­betisch geordnete Fachwörterbücher reduzieren. Wenn man sich die fachlexikalisch inspirierten Ordnungsbemühungen der Wissenschaftsgeschichte detaillierter vergegenwärtigt, trifft man auf ein breites Spektrum von Textformen und Dokumentationsstrategien, mit zahlreichen Übergangs­formen und Spezialentwicklungen. So ist etwa an verschiedene Formen von lexikalischen Listen, Glossaren, Vokabularien, Thesauri, Terminologielehren, Nomenklaturen, Kompendien, Hand­büchern sowie En­zyklopädien zu denken (vgl. etwa Speer 1989; Meyer 1991; Lehrnbecher 1995; Müller 2001: Kap. VII; Prinz 2014; Riecke 2014; Haß 2018). Entsprechende Traditionen können von Fall zu Fall bis in die griechisch-lateinische Antike zurückreichen. Auch das Funktions­spektrum dieser Texte lässt sich nicht auf die rein fachinterne Sammeltätigkeit redu­zieren. Je nach Kontext kann Ent­wicklung und Nutzung dieser Texte auch auf interlinguale Aspekte (Übersetzung, bi- oder multi­lingual), didaktische Vermittlung (Schule und universitäre Ausbildung) oder populärwissenschaft­liche Verbreitung (Übertragung zwischen Fach- und Standard- bzw. Alltagssprache) zielen. Fer­ner ist in Rechenschaft zu ziehen, dass sich solche Zusammen­stellungen nicht nur in selbständi­gen Publikationen verkörpern, sondern auch in unselbständigen, verborgenen Dokumentationen. So finden sich gelegentlich in wissenschaftlichen Darstellungen Ab­schnitte, in denen Fachwortschätze systematisch und in repräsentativen Ausschnitten auf­gelistet und erklärt werden. Auch Register und Inhaltsverzeichnisse können mit (systemati­schen) Informationen aufgeladen sein, die mehr umfassen als die bloße Orientierung in der Makrostruktur eines Buches. Zuletzt sei fest­gehalten, dass auch der Objektbereich solcher Dokumentationen nicht auf einfache fachlexikali­sche Einheiten, also Wörter und Phraseme, zu begrenzen ist. Denn in vielen Wissenschaftsdisziplinen spielten und spielen außerdem ver­schiedene Formen von ikonischen, symbolischen oder indexikalischen Schriftzeichen eine tragende Rolle, wie z.B. die Element- und Planetenzeichen der alchemistischen Tradition (vgl. etwa Gaede 2021). Auch diese para-sprachlichen Wissens­elemente gerieten ab und an in den Fokus einschlägiger Kollektionen. Darin wurden wissen­schaftlich relevante Zeichen so zusammen­getragen wie Buchstaben und Schriftarten in Lese­lehren und Grammatiken, Fach­wörter in Fachlexika oder Gleichungen in Rechenbüchern und Formelsammlungen.

Die geplante Tagung des Arbeitskreises „Historische Gelehrten- und Wissenschaftssprachen“ (HiGeWiS) wird sich schwerpunktmäßig mit der skizzierten Vielfalt von fachlexikographischen und vergleichbaren Dokumentationen der Wissenschaftssprachgeschichte beschäftigen. Als Ober­begriff für die gesamte Palette der fachlexikalischen Sammlungen soll vorläufig der Begriff (lexi­kalische, wissenschaftssprachliche) Dokumentation fungieren.

Die Tagung ist an Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler (vor allem historisch arbeitende) gerichtet, ferner an interdisziplinär wie historisch Interessierte aus allen wissenschaft­lichen Disziplinen. Aus den oben angesprochenen Punkten ergeben sich unterschiedliche syste­matische und diachrone Fragestellungen, denen bei der Tagung detailliert und exemplarisch nachgegangen werden soll. Sie können wie folgt weiter erläutert werden:

  • Welche wissenschaftssprachlichen Dokumentationen lassen sich für die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen identifizieren? Wie lassen sie sich klassifizieren und cha­rakterisieren? Wie sind sie entstanden? Wie haben sie sich entwickelt? Wie setzen sich ihre Traditionen möglicherweise in der Gegenwart fort?
  • Welche Textstrukturen und Sammlungsstrategien der wissenschaftssprachlichen Doku­mentation gibt es? Wie lassen sie sich näher beschreiben und analysieren?
  • Welche Rolle spielen wissenschaftssprachliche Dokumentationen beim Fortschritt der Wissenschaften? Inwiefern können sie womöglich retardierende (traditionsgebundene) oder beschleunigende (revolutionierende) Wirkungen besitzen?
  • Welche Unterschiede lassen sich bei der Entwicklung und Nutzung von wissenschafts­sprachlichen Dokumentationen zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen beobach­ten? Wo ergeben sich Gemeinsamkeiten?
  • Auf welche Art und Weise, von wem, in welchen soziopragmatischen Kontexten und mit welchen Intentionen wurden einzelne wissenschaftssprachliche Dokumentationen erstellt, entfaltet und weiterentwickelt? Wie wirken sich technische, mediale und ökonomische Entwicklungen und Motive aus?

Interessierte aller Fachrichtungen und Qualifikationsstufen sind eingeladen, ein Abstract zu den genannten Schwerpunkten einzureichen. Diachrone Studien zu Entwicklungstendenzen inner­halb dieser Schwerpunkte wie auch synchrone Untersuchungen sind erwünscht. Die hier präsen­tierten Fragestellungen schließen Vorträge zu anderen Forschungsinteressen nicht aus, solange sie sich auf historische Gelehrten- und Wissenschaftssprachen beziehen. Insbesondere möchten wir den wissenschaftlichen Nachwuchs zu kurzen Projektvorstellungen ermuntern. Je nach den eingehenden Rückmeldungen wird es auf der Tagung eine eigene Sektion geben, in der Projekte aus Qualifikationsarbeiten skizziert und diskutiert werden können.

Die Abstracts von max. 300 Wörtern (ohne Literaturangaben) sind bis spätestens 31. Mai 2023 einzureichen an wolfpeter.klein@uni-wuerzburg.de.

Es ist geplant, einen Antrag auf finanzielle Förderung der Tagung einzureichen. Zum gegen­wärtigen Zeitpunkt können aber noch keine Zusagen zur Unterstützung bei Reise- oder Übernachtungskosten gemacht werden.

Literatur

Gaede, Jonathan (2021): Desiderate einer linguistischen Erforschung alchemistisch-astrologischer Sym­bole in frühneuzeitlichen Fachtexten. In: Wolf Peter Klein & Sven Staffeldt (Hrsg.), Zur Geschichte der Fach- und Wissenschaftssprachen. Identität, Differenz, Transfer. Universität Würzburg, 25-44. [https://doi.org/10.25972/OPUS-25117]

Haß, Ulrike (2018): Verfahren der Quellenverarbeitung in Zedlers Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste (1732–1754). In: Michael Prinz & Jürgen Schiewe (Hrsg.), Vernakuläre Wissenschafts­kommunikation. Beiträge zur Entstehung und Frühgeschichte der modernen deutschen Wissen­schafts­sprachen (Lingua Academica 1). Berlin, Boston: De Gruyter, 169-188. [https://doi.org/10.1515/9783110476958-007]

Lehrnbecher, Petra (1995): Engelwurz und Teufelsdreck. Zur Lexikographie der Heilpflanzen in Wörter­büchern des 16. – 18. Jh. Frankfurt/M. u.a.: Lang.

Klein, Wolf Peter (2004): Gab es eine Fachsprachenforschung im 17. Jahrhundert? Versuch einer Ant­wort mit besonderer Berücksichtigung von Johann Heinrich Alsted. In: Historiographia Linguistica XXXI:2/3, 297-327. [http://dx.doi.org/10.1075/hl.31.2.05kle]

Meyer, Heinz (1991): Ordo rerum und Registerhilfen in mittelalterlichen Enzyklopädiehandschriften. In: Frühmittelalterliche Studien 25, 315–339.

Müller, Peter O. (2001): Deutsche Lexikographie des 16. Jahrhunderts. Konzeptionen und Funktionen frühneuzeitlicher Wörterbücher. Tübingen: Niemeyer. [https://doi.org/10.1515/9783110924350]

Prinz, Michael (2014): Christoph Zobels Glossar zum sächsisch-magdeburgischen Recht (1537) und die Anfänge einer deutschen Archaismen-Lexikographie. In: Ders. & Hans-Joachim Solms (Hrsg.), vnuornemliche alde vocabulen – gute, brauchbare Wörter. Zu den Anfängen der historischen Lexi­ko­graphie (Zeitschrift für deutsche Philologie, Sonderheft). Berlin: Erich Schmidt, 29-70.

Riecke, Jörg (2014): Über die Anfänge der Geschichte deutscher medizinhistorischer Wörterbücher im 19. Jahrhundert. In: Michael Prinz & Hans-Joachim Solms (Hrsg.), vnuornemliche alde vocabulen – gute, brauchbare Wörter. Zu den Anfängen der historischen Lexikographie (Zeitschrift für deutsche Philologie, Sonderheft). Berlin: Erich Schmidt, 299-316.

Speer, Heino (1989): Das deutsche Rechtswörterbuch. Historische Lexikographie einer Fachsprache. In: Lexicographica 5, 85-128.